Mindfulness – wie Meditationen zum Gegenstand der Forschung aufstiegen
16-02-2021
Kalendersprüche erinnern uns daran, den Moment zu würdigen, Bücher, Zeitungen und Magazine ermutigen uns zu einem achtsamen Lebensstil. Wir begegnen dem Begriff Mindfulness (Achtsamkeit) in vielen Kontexten und der Ansatz hat sich zu einer weit verbreiteten Behandlungstechnik innerhalb der psychischen Gesundheitsfürsorge entwickelt. Auch Embloom widmet diesem Thema in Übungen, Tagebüchern, Fragebögen und einem umfangreichen Modul. Doch wofür stehen die Begriffe und wie geht die Forschung an das Thema heran? Wir geben einen ersten Überblick.
Wie hat sich Mindfulness zu einem Forschungsthema entwickelt?
Bei der Fülle an Veröffentlichungen in Massenmedien und wissenschaftlichen Artikeln zum Thema gibt es keinen universell richtigen Einstieg für Interessierte ins Thema (1). Deswegen schauen wir zunächst auf die Anfänge, als sich Mindfulness und Meditationen zum Gegenstand der Forschung entwickelten:
Die ersten wissenschaftlichen Beiträge zur Mindfulnessforschung stammen von Jon Kabat-Zinn, einem promovierten US-amerikanischen Molekularbiologen (2). „Ich habe früh die Bekanntschaft eines Zen-Meisters gemacht. Die Meditation hat mich gleich gepackt“, beschrieb der Wissenschaftler 2015 in einem Interview mit der FAZ. (3) Mit seinem Programm der Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (MBSR) entwickelte er ein Verfahren, das in der Gesundheitsversorgung inzwischen so anerkannt ist und einen so positiven Effekt auf die Gesundheit hat, dass Krankenkasse ihren Mitgliedern die Kursteilnahme vergüten (4). Nachdem Mindfulness als Forschungsthema erstmal ein Nischendasein fristete, entwickelte es sich zu einem weit verbreiteten Bestandteil der ganzheitlichen Medizin. Wurde Kabat-Zinn anfangs noch von Kollegen als Esoteriker belächelt, besprechen das Thema inzwischen die renommiertesten Journals, was er selbst darauf zurückführt, dass er wissenschaftlichen Grundsätzen immer treu geblieben ist.
Der Molekularbiologe gab der Mindfulness-Forschung ein wissenschaftliches Gesicht. Mit seinem besonnenen und freundlichen Auftreten gewinnt er sein Publikum auf Vorträgen und in Fernsehauftritten für sein Thema. In Ergänzung dazu vertritt Thich Nhat Hanh die andere Seite der Mindfulness, die buddhistisch-spirituelle, in der medialen Repräsentation. Der vietnamesische Mönch veröffentlichte zahlreiche Bücher, in denen er Mindfulness bespricht.
Wie lässt sich Mindfulness erforschen?
Sowohl die wissenschaftliche als auch die spirituelle Strömung beschreiben das Phänomen mit ihren Worten:
Spirituell: Sei immer achtsam, wenn Du einatmest, und achtsam, wenn Du ausatmest. Wenn Du tief einatmest, dann wisse „ich atme tief ein“, und wenn Du tief ausatmest, dann wisse „ich atme tief aus“. Wenn Du kurz einatmest, dann wisse „ich atme kurz ein“, und wenn Du kurz ausatmest, dann wisse „ich atme kurz aus“(5).
Wissenschaftlich: Unter Achtsamkeit („Mindfulness“) wird eine besondere Form der Aufmerksamkeitslenkung verstanden: Den aktuellen Erlebnisinhalten wird bewusst, im augenblicklichen Moment und nicht wertend Aufmerksamkeit geschenkt (5).
Solche Beschreibungen sind für die wissenschaftliche Betrachtung essentiell, weil Mindfulness ein Konstrukt ist, das sich direkter Messung entzieht. Eine Herausforderung, die oft in der psychologischen Forschung bewältigt werden muss, bevor aus wissenschaftlichen Erkenntnissen heraus neue psychotherapeutische Verfahren entwickelt werden können. Dies kann gelingen, indem etwa im Rahmen einer Studie alle Begriffe des Konstrukts definiert werden, um so zu einer Operationalisierung zu gelangen, mit der beispielsweise mittels Selbstberichtsfragebögen belastbare Daten erhoben werden. Die notwendigen wissenschaftlichen Standards erfüllen nicht alle Publikationen zum Thema Mindfulness, weshalb sich die Forschungsarbeiten nur eingeschränkt vergleichen lassen und die Faktenlage nicht so klar ist, wie es die Vielzahl an Veröffentlichungen zu dem Thema nahelegen (6).
Welchen Beitrag leisten bildgebende Verfahren zur Erforschung von Mindfulness?
Einen neuen Forschungsansatz leisten die Methoden der kognitiven Neurowissenschaften, die mit bildgebenden Verfahren Prozesse verschiedener Hirnareale veranschaulichen. Diesem Thema haben sich der Psychologe Dr. Ullrich Ott und sein Team am Bender Institute of Neuroimaging an der Universität Gießen angenommen. Mittels funktionalen MRT-Scans konnten er und seine Kollegen feststellen, dass bei Menschen, die sich während der Meditation etwa auf ihre Atmung fokussieren, das zentrale exekutive Netzwerk aktiviert wird, das die Aufmerksamkeit ausrichtet und aufrecht erhält (5). Dies deckt sich mit den obigen Beschreibungen, was unter Mindfulness zu verstehen ist. Außerdem sieht Ott eine Beteiligung des anterioren zingulären Cortex als erwiesen an, der aktiv ist, wenn Meditierende versuchen, Störungen auszublenden und wachsam bleiben, um zu registrieren, falls ihre Gedanken abschweifen.
Zum Beispiel können Patienten mithilfe von Bodyscan-Meditationen Hirnregionen stimulieren, die Körperempfindungen wahrnehmen und verarbeiten, etwa der somatosensorische Cortex und der insuläre Cortex. Letzterer ist auch an den neurophysiologischen Vorgängen, die zwischenmenschliche Empathie steuern, eingebunden. Die Erkenntnisse legen nahe, dass Menschen mit längerer Meditationspraxis über eine höhere Dichte an synaptischen Verbindungen in bestimmten Hirnregionen verfügen als vergleichbare Personen ohne Meditationstraining.(7).
Fazit und Ansätze für Mindfulness in der Praxis
Mindfulness kann eine Methode für Patienten sein, sich selbst in den Fokus zu nehmen, ohne dabei Leistung erbringen zu müssen. Vorhersagen über die Meditationseffekte allgemein und besonders für das einzelne Individuum sind schwierig zu treffen. Auch widersprechen durch Erfolgserwartungen motivierte Meditationen dem zentralen Ansatz keine Maßstäbe heranzuziehen.
Einen ersten Eindruck, inwieweit Patienten bereits die verschiedenen Aspekte von Mindfulness in ihren Alltag integrieren, bietet der Fragebogen FFAF. Das Mindfulness-Tagebuch kann den Übungsprozess begleiten und in Sinne einer qualitativen Analyse unterstützen. Ebenso lässt sich der FFAF mehrmals anwenden, um Veränderungen sichtbar zu machen.
Möchten Sie ausprobieren, wie Mindfulness in Ihrer Praxis genutzt werden kann? Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf oder fordern Sie ihr persönliches Demokonto an
Quellen:
- Mind the Hype: A Critical Evaluation and Prescriptive Agenda for Research on Mindfulness and Meditation. Perspectives on Psychological Science. 13. 174569161770958. 10.1177/1745691617709589.
- https://www.mindfulnesscds.com/pages/about-the-author
- https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/buero-co/yoga-lehrer-kabat-zinn-ueber-smartphone-sucht-und-nichtstun-13483207.html
- https://www.aok.de/pk/rh/landingpages/gesundheitskurse-in-hamburg/aok-gesundheitskurse-stressbewaeltigung/
- Achtsamkeit («Mindfulness») als Therapieprinzip in Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin T. Heidenreich J. Michalak
- https://www.tk.de/techniker/magazin/life-balance/aktiv-entspannen/meditationsexperte-ulrich-ott-interview-2007132
- Ott, U., Hölzel, B. Meditationsforschung: neuroanatomische Befunde. Dtsch Z Akupunkt 54, 17–19 (2011)